bescheiden
und präsent:
die friedenskirche

Gedankengefühle eines Liebhabers

Birken hatte ich immer geliebt. Bis ich beobachten musste, wie sie aus dem Mauerwerk der Friedenskirche sprossen und es aufbrachen. Unerbittlich! Also, ich hasse Birken. Die Friedenskirche hat meine Sicht auf die Welt verändert.

Auch der Innenraum hat mich zu einem anderen gemacht. Kalt und unbarmherzig wirkte er auf mich, als ich zum ersten Mal diese Kirche betrat. Aber dann! Mit jedem Gottesdienst und den ebenso aufrechten wie liebenswerten Menschen, die diesen Raum geistig bereicherten, wurde er mir vertrauter. Täglich mehr. Erst recht abends, wenn die durchdacht konzipierte Beleuchtung den Raum erhellte. Und als dann Ende 1998 das Gemeindehaus verkauft wurde und somit alle Aktivitäten der Gemeinde in der Kirche stattfanden, erwachte die Friedenskirche zu neuem Leben. Neben ausreichend Platz für Jugendräume, Gemeindebüro, Sitzungssaal und Konfi-Raum wurde plötzlich auch der Sakralraum, bescheiden und präsent mit dem von mir so überaus geschätzten Kreuz, zum Zentrum des Gemeindelebens.

Ob eine Tänzerin im Altarraum zu Andersens Meerjungfrau tanzt, ob ein Sandkünstler auf dem Boden ein Kunstwerk entwickelt, ob die Kinder der Kita tobend ihre erste Erfahrung mit Gott machen oder das alternative Krippenspiel, ein bis heute viel zitiertes Highlight der Gemeindearbeit, aufgeführt wird, ob die NDR-Bläser spielen oder der Rubens von St. Pauli, Erwin Ross, hier über seine Werke sprechen darf - all das lässt der Raum zu. Sogar Grenzüberschreitungen! Wenn der Geist der Kreativen die Kirche für eine Weile okkupiert, verliert er dennoch nicht seine eigentliche Bestimmung als Raum für den Dienst an Gott.

Und auch meine auf dem Flohmarkt an der Rindermarkthalle erstandene Stehlampe aus den Fünfzigerjahren hat dem Altarraum bei Leseabenden einen unvergleichlichen Geist eingehaucht. Manch einer kam nur wegen der Lampe - die Literatur wurde geduldet: arabische Welten; Liebe und Erotik; Atheisten und Satiriker; Arno Schmidt und Oscar Romero; Reise nach drüben; Dutschke und Meinhof; Uwe Timm und Uwe Tellkamp; Schumann, Brahms, Mendelssohn - all diese Geister waren hier zu Gast. Und sie blieben anschließend noch im Foyer bei Wein & Wasser. Zusammen mit Gott. Das ist nicht in jeder Kirche möglich. Aber in der Friedenskirche!



Von Mai 1998 bis Dezember 2012 arbeitete Friedrich Brandi als Pastor in und um die Friedenskirche Altona. Auch heute findet man ihn auf vielen Festen und Konzerten der Gemeinde.